Stadtfunk Leipzig

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde auf der Potsdamer Konferenz über die geografische Neuordnung Deutschlands entschieden.
Die vier Großmächte Amerika, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien teilten Deutschland in vier Besatzungszonen und übernahmen fortan die Regierungsgewalt.

Die Stadt Leipzig fiel durch die Neuaufteilung in die Sowjetische Besatzungszone und bereits am 27. September 1945 erfolgt der Befehl Nummer 78 der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) zur »Rechtzeitigen und regelmäßigen Versorgung der deutschen Bevölkerung in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands mit politischer Information«. Darin steht:

»Zum Zwecke einer rechtzeitigen und regelmäßigen Versorgung der deutschen Bevölkerung in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands mit politischer Information befehle ich:
[…] 3. der deutschen Verwaltung für Fernmeldewesen, dem Oberbürgermeister der Stadt Berlin, den Präsidenten der Provinzen und Bundesländer zu gestatten, auf Grund von Genehmigungen der Sowjetischen Militäradministration den Bau von Radioübertragungsknotenstellen für niederfrequenten Leitungsrundfunk über Sonderleitung und die Aufstellung von Lautsprechern für die Bevölkerung durchzuführen; dies gilt auch für die Aufstellung von Lautsprechern der Leitungsrundfunknetze in Straßen, Anlagen, an Plätzen, Sportfeldern, auf Fabrik- und Industriegelände usw.;
[…] 5. die Organisation des Leitungsrundfunks über Fernkabelleitungen (niederfrequent) und städtische Fernsprechnetze (hochfrequent) mit Anhören der Darbietungen des Rundfunksenders Berlin in den Empfängern zu genehmigen; Der Oberbürgermeister der Stadt Berlin, die Präsidenten der Provinzen und Bundesländer haben Sorge zu tragen für die erforderlichen Vorbereitungsarbeiten und den Beginn der Übertragungen des Rundfunksenders Berlin auf Leitungen

a) in Richtung Berlin-Halle, Berlin-Potsdam, Berlin-Weimar, Berlin-Schwerin und Berlin-Dresden zum 10. Oktober 1945;
b) in Richtung Greifswald, Magdeburg, Dessau, Leipzig, Erfurt, Chemnitz, Zwickau, Eberswalde, Bernau, Brandenburg und Cottbus zum 1. November 1945;
c) in den Provinzhauptorten und einzelnen Städten zum 1. Januar 1946; […]

Der Stellvertreter des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland Generaloberst I. Sserow Der Stellvertreter des Chefs des Stabes der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland Generalleutnant M. Dratwin«

Tatsächlich wurde über die aufgestellten Tonsäulen zu Anfang nur der Berliner Rundfunk gesendet, ebenso ausgewählte Beiträge des Moskauer Rundfunks. Von einer eigenständigen Funkanlage konnte also zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede sein. In einer Niederschrift in den Akten des Stadtarchivs Leipzig vom 01. April 1950 ist nachzulesen, »dass die Kosten dieser Anlage [...] sich auf circa RM 240.000.-« beliefen.

Die Landesregierung Sachsen zeigte sich interessiert an der Großlautsprecheranlage und trieb die Einrichtung einer zugehörigen Besprechungsanlage voran. Ende der 50er Jahre wurde diese Anlage im Neuen Rathaus der Stadt im damaligen Raum 312 installiert. Nachdem zu Anfang, wie bereits erwähnt, nur der Berliner und der Moskauer Rundfunk übertragen worden waren, folgten dann Stadtfunksendungen, die live im Studio gelesen und gefahren oder zu bestimmten Anlässen vorproduziert wurden.

Der erste Sendeplan, der im Stadtarchiv zu finden ist, trägt kein Datum, zeigt aber, dass montags bis freitags sowie sonnabends über die Tonsäulen gesendet wurde. In den späteren Jahren sendete der Stadtfunk nur noch zu drei Terminen an Wochentagen für jeweils circa 20 min. Darin enthalten waren überwiegend Nachrichten und aktuelle Meldungen aus dem Stadtgebiet, aktuelle Veranstaltungstipps, Sportmeldungen, Polizeigespräch und am Freitag ein Live-Wettergespräch mit dem Wetteramt Leipzig.
Zu diversen Sondersendungen wurden spezifische Sendepläne erstellt, die wiederum über eine Woche oder mehrere Tage gehen konnten.

Nach der Wende mussten in der Stadt und im Rathaus einige Posten neu sortiert werden; das betraf auch den Stadtfunk. Zweifellos war der Stadtfunk in den Köpfen der Politiker mit propagandistischen Sendungen des DDR-Regimes verbunden, gleichwohl er sich mit dem Aufruf der »Leipziger Sechs« am 09. Oktober 1989 selbst ein Denkmal gesetzt hatte.
Obwohl die Unterhaltungskosten große Ausmaße angenommen hatte, entschied der amtierende Bürgermeister Hinrich Lehmann-Grube, dass der Stadtfunk bleibt.

1994 wird die SLM auf den Leipziger Stadtfunk aufmerksam und betitelt diesen als ein Hörfunkprogramm, das in allen Fällen einer Lizenz bedarf. Darüber hinaus ist der Stadtfunk im Rathaus angesiedelt und arbeitet auch eng mit der Stadtverwaltung zusammen und erfüllt somit die laut Rundfunkstaatsvertrag geforderte Staatsferne in keinster Weise. Somit kann auch keine Lizenz vergeben werden und der Stadtfunk soll verboten werden.
Die SLM führte eine Ausschreibung durch, bei denen sich 3 Bewerber um den Stadtfunk bemühten - den Zuschlag bekam der private Sender Radio Leipzig.

1998 standen noch circa 47 Tonsäulen, doch lediglich 20 davon waren noch funktionstüchtig. Bei verschiedenen Bauarbeiten wurden teilweise die Leitungswege oder auch die Anlagen selbst zerstört und weder Radio Leipzig noch die Stadt hatten Ressourcen, den Zerfall aufzuhalten.

So folgte der Beschluss, den Sendebetrieb des Stadtfunks zum Ende des Jahres einzustellen. Am 18. Oktober 1998 ertönte die nun endgültig letzte Sendung von Radio Leipzig aus den Lautsprechern des Stadtfunks.